Donnerstag, 31. Mai 2012

Rezension zu "Der Hase mit den Bernsteinaugen" von Edmund de Waal


Japanische Figürchen auf Welt- und Geschichtsreise

Mit "Der Hase mit den Bernsteinaugen" erzählt der Autor Edmund de Waal, Professor für Keramik in London, die Biographie seiner Vorfahren, der reichen jüdischen Kaufmannsfamilie Ephrussi. Kern seiner Familienrecherchen sind die 264 Netsuke, kleine geschnitzte Figürchen aus Japan, die nach dem Tod seines Großonkels in Tokio in seinen Besitz übergingen. 
Besonders gefallen hat mir "Der Hase mit den Bernsteinaugen" durch die einnehmende Art des Autors selbst, der mit ausgeprägtem Entdeckergeist und spürbarer Leidenschaft auf den Spuren der Vergangenheit seiner Familie wandelt, sich für jede neue Erkenntnis, für jedes noch so kleine Puzzlestück begeistern kann und seine Begeisterung in einem mitreißenden Erzählstil mit vielen liebevollen Details auch dem Leser nahe bringt.

De Waal beginnt seine Nachforschungen in Paris, wo die Sammlung der Netsuke Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Der Ephrussi-Sohn Charles, der sich ohne die Verpflichtungen seiner älteren Brüder und mit dem Geld seiner Familie, die sich in Odessa im Getreidehandel ein beachtliches Vermögen erarbeitet hatte, ließ sich in Paris nieder und verbrachte seine Zeit im stattlichen Familiensitz vor allem mit Kunst. Neben Bekanntschaften mit vielen namhaften Künstlern interessierte sich der Neu-Pariser für die Kunststücke Japans und erwarb Stück für Stück die Netsuke, die als Hochzeitsgeschenk von Paris aus den Weg zu seinen Verwandten nach Wien nahmen. Zu Viktor und dessen Frau Emmy, de Waals Urgroßeltern.

In Wien bei seinen direkten Vorfahren angekommen, werden de Waals Erzählungen noch einmal deutlich intensiver, da er nun auch Kindheitserinnerungen seiner Großmutter und seines Großonkels einbinden kann, die er aus erster Hand oder aus Aufzeichnungen in ihren Nachlässen direkt erfährt. Er berichtet, wie die Kunstsammlung im Ankleidezimmer seiner Urgroßmutter einen Ehrenplatz fand und zum begehrten Spielzeug der Kinder des Hauses wurde.

In Wien brach dann auch, nach ersten Verlusten im ersten Weltkrieg, der Nationalsozialismus über die jüdische Familie herein, die zu dem Zeitpunkt schon über die ganze Welt verteilt war. De Waal berichtet von Enteignung, vom Verlust ihrer Heimat, von der Flucht und davon, wie ausgerechnet die 264 japanischen Figuren wieder in den Besitz der Familie kamen, wohingegen fast alles andere verloren ging. 
Zu guter Letzt machten sich die Netsuke im Gepäck des Großonkels wieder auf die Reise in ihrer Heimat nach Japan.

Insgesamt eine lesenswerte Biographie, die besonders durch den wundervollen Schreibstil des Autors und dessen Begeisterung für das Entdecken der eigenen Familiengeschichte besticht. Sehr empfehlenswert (auch wenn man nicht darauf warten sollte, dass der namensgebende "Hase mit den Bernsteinaugen", der den Schutzumschlag ziert, eine tragende Rolle spielen wird)!


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Allgemeine Informationen

Ausgabe: Gebunden
Seiten: 352
Verlag : Paul Zsolnay Verlag
ISBN: 978-3552055568
Preis: € [D] 19.90

 Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage

1 Kommentar:

  1. Oh schöne Rezension. Das Buch steht auch ganz oben auf meiner Wunschliste. Hatte es in Wien im jüdischen Museum in der Hand gehabt und seit dem nicht mehr aus m Kopf :) Ärger mich das ich es nich mitgenommen hatte.

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