Donnerstag, 10. Mai 2012

Rezension zu "Die toten Frauen von Juárez" von Sam Hawken


Auf der Suche nach Gerechtigkeit

"Die toten Frauen von Juárez" von Sam Hawken ist, wie der Autor selbst betont, eine fiktive Geschichte, die allerings auf einer realen Grundlage basiert. In der Ciudad Juárez im Norden Mexikos, unmittelbar an der US-amerikanischen Grenze, gab es in den letzten zwei Jahrzehnten hunderte vermisste oder tot aufgefundene Frauen. Diesen Kriminalfall wählt der Autor als Grundlage seiner Geschichte, die auch ansonsten durch realitätsnahe und oft ernüchternde Schilderungen menschlicher Schicksale glänzt.
 
Zum Inhalt: Der ehemalige Boxer Kelly ist ganz unten. Seine Karriere hat er durch Drogen ruiniert und in seine Heimat, die USA, kann er aufgrund einer Straftat, die er dort begannen hat, nicht zurück. Stattdessen lebt er unterstützt von seiner Freundin Paloma von kleinen Drogengeschäften in der Ciudad Juárez an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze. Noch einmal versucht er ins Box-Geschäft zurückzukehren, doch als auch dieser Traum zerplatzt, verfällt er erneut den Drogen. Als er nach seinem wochenlangen Rausch wieder zu sich kommt, ist Paloma verschwunden und er und Palomas Bruder Estéban sind die Hauptverdächtigen, denen man mit unbarmherziger Folter ein Geständnis entlocken will. Nur der gealterte Polizist Sevilla, der oft versuchte Kelly als Informant für sich zu gewinnen, glaubt an seine Unschuld und beginnt in einem Sumpf aus Kriminalität, Gewalt und Korruption auf eigene Faust nach den Schuldigen zu suchen.

Sam Hawken schafft es die Ciudad Juárez und die Kriminalität dort, ebenso wie die Geschichte der vermissten Frauen, für die sich auch seine Romanfigur Paloma einsetzt, authentisch und atmosphärisch stark wieder zu geben. Keiner seiner Charaktere ist eine Figur zum verlieben, selbst die so warmherzige und mitfühlend auftretende Paloma überschreitet die Grenze zur Kriminalität, und doch hat jeder sein eigenes Schicksal, welches den Charakteren etwas sympathisches gibt und den Leser trotz aller Verfehlungen berührt und bewegt. Aber oft vermittelt der Autor auch ein Bild der Ernüchterung, wenn er die Funktionsweisen des mexikanischen Rechtssystems am Fall der verschwundenen Frauen und des inhaftierten Verdächtigen Kelly abbildet. Dabei geht er unverblümt zur Sache. Es wird brutal und blutig und auch sprachlich sehr derb, was mich aber nicht abschreckte, sondern die Atmosphäre des Romans unterstützte.

Der Geschichte der vermissten, teilweise vergewaltigt und schlimm zugerichteten Frauen, nähert er sich dabei indirekt über seine beiden männlichen Hauptprotagonisten, die beide geliebte Frauen verloren haben. Kelly, der seine Freundin Paloma verliert, und Sevilla, dessen Tochter und Enkelin schon seit Jahren zu den Vermissten zählen. Beide sind keine Musterknaben, sondern Charaktere mit unzähligen Ecken und Kanten, an deren Händen auch das Blut unschuldiger klebt. Und dennoch ist das Unrecht, das ihnen widerfährt, kaum in Worte zu fassen und ließ mich richtig mitfühlen und das Buch kaum noch aus der Hand legen, außer für kleine Unterbrechungen, um bei all der Härte der Geschichte kurz durchzuatmen. 

Die gesamte Handlung teilt sich in vier Abschnitte, die zwischendurch auch mit einem Wechsel des Hauptprotagonisten einhergehen. Stilistisch waren die Übergänge aber so gut gewählt und vorbereitet, dass mich die Übergänge nie störten oder verwirrten. Auch der Einbau einiger spanischer Sätze, der das Buch atmosphärisch unterstützte, störte mich trotz meiner mangelnden Spanisch-Kenntnisse nicht, da alles aus dem Kontext erschlossen werden konnte.

Fazit: Ein atmosphärisch starker Roman über die Suche nach Gerechtigkeit in einer Stadt, die von Kriminalität und Korruption beherrscht wird und in der sich um die Suche nach dem wahren Schuldigen und dessen gerechter Bestrafung schon lange keiner mehr schert. Ein Roman, der auf eine reale Mordserie aufmerksam machen möchte und auf eine sehr ernüchternde Art viele Denkanstöße liefert. Er wird mir sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben.
5 von 5 Sternen.


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Allgemeine Informationen

Ausgabe: Gebunden, 1. Auflage (März 2012)
Seiten: 317
Verlag : Klett-Cotta

ISBN: 978-3608502121
Preis: € [D] 19.95

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage

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