Donnerstag, 24. Januar 2013

Rezension zu "Bittere Wunder" von Christina Meldrum


Die Verdrängung eines Familienschicksals

"Bittere Wunder" von Christina Meldrum ist ein Jugendroman, von dem ich eigentlich einen anderen Inhalt erwartet hatte. Dennoch hat mich die Mischung aus Religion, Pflanzenkunde, Mythologie und menschlichen Abgründen nach kurzen Startschwierigkeiten überzeugen können.

Inhalt: Die 15-Jährige Aslaug lebt allein mit ihrer Mutter in einem entlegenen Haus, wo sich die beiden Frauen hauptsächlich mit dem versorgen, was sie in der Natur finden können. Als Aslaugs Mutter stirbt, muss Aslaug ihre isolierte Welt verlassen und zieht zu ihrer Tante und deren beiden Kindern, die sie bisher nicht kannte. Dort lernt Aslaug ein streng religiöses Leben kennen und muss sich mit ihrer eigenen Herkunft auseinandersetzen. Unerwartete Ereignisse machen das Leben dort jedoch schwer für Aslaug und vier Jahre später ist sie wegen Mordes angeklagt...

"Bittere Wunder" ist ein Roman, der in der realen Welt, in den USA zwischen den Jahren 2003 und 2007, spielt, sich aber mit einem, eigentlich sogar mit zwei sehr extremen Lebensmodellen befasst, die auf mich so fremd wirkten, wie ein Fantasyroman, und dadurch eine große Faszination auf mich ausübten. Zum Einen ist da das Leben von Aslaug und ihrer Mutter, am Rande der modernen Zivilisation in einer fast autarken, eigenen kleinen Welt. Aslaug wird von ihrer Mutter zu Hause unterrichtet, lernt alte Sprache und alles über die verschiedenen Pflanzen in ihrer Umgebung. Später wechselt sie in die zweite Fast-Parallelwelt, eine streng religiöse, beinahe fanatische Gemeinschaft, die ihre Tante als Pastorin anführt. Auf beiden Stationen in Aslaugs Leben gibt es Abgründe, die kaum vorstellbar sind und mich beim Lesen teilweise sehr mitgenommen haben.

Durchsetzt ist der Roman neben den Kapiteln, in denen Aslaugs Geschichte mit ihr als Ich-Erzählerin wiedergegeben wird, von schlichten Kapiteln in reiner Dialogform von den Vernehmungen der Zeugen während Aslaugs Gerichtsverhandlung 2007. Der radikale Wechsel von Erzählstil und Perspektive ist gut gelungen, verleit der Geschichte  insbesondere durch die Gerichtsverhandlung ein gewisses Tempo und erhöht die ansonsten eher weniger vorhandene Spannung, indem der Leser zunächst rätseln muss, worin Aslaugs Vergehen überhaupt besteht. Wer ist gestorben? Wen soll Aslaug ermordet haben, vier Jahre nach dem Tod ihrer Mutter? Hier überschlagen sich vor allem am Ende des Romans noch die Ereignisse, was mir dann, während ich zu Beginn doch erhebliche Startschwierigkeiten hatte, sehr gut gefallen hat, denn die Geschichte ist tiefgehender als zunächst vermutet.

Meine Startschwierigkeiten mit "Bittere Wunder" lagen sicherlich zunächst an der Ich-Erzählerin Aslaug. Nach rationalen Gesichtspunkten lassen sich die Gedanken und Taten des Mädchens oft nicht erklären, was aber im Zusammenhang mit Aslaugs isoliertem Leben mit einer kranken Mutter und deren ausgeprägten Gemütsschwankungen mit der Zeit tatsächlich einen sehr stimmigen Charakter ergab. Insbesondere ihre symbolträchtige Auslegung vieler Situationen mit Verbindungen zur Natur und den Eigenschaften von Pflanzen war manchmal ein wenig trocken, gefiel mir allerdings mit der Zeit als wiederkehrendes Merkmal immer besser. Später werden diese gedanklichen Ausflüge in die Pflanzenwelt noch ergänzt durch oft sehr, manchmal zu ausladenden Diskussionen über Religion und Mythologie, die ich persönlich zwar interessant fand, aber für ein Jugendbuch doch recht langatmig.

Die Altersempfehlung des Verlags, der das Buch für eine Zielgruppe ab 12 Jahren angesetzt hat, kann ich daher nur bedingt unterstützen. Weder im Schreibstil noch in der Geschichte selbst habe ich diese Altersgruppe erkennen können, denn beides ist insgesamt doch recht anspruchsvoll, zumal sich hinter der sehr symbolhaften Ausdrucksweise und der religiösen Interpretation eine sehr handfeste, dunkle Familiengeschichte verbirgt, mit einer von den Protagonisten größtenteils verdrängten Realität, die meistens nur nebenbei ans Licht kommt. Bei sehr jungen Lesern hätte ich mir hier vielleicht eine direktere Auseinandersetzung mit der Thematik gewünscht, da die Wirklichkeit, mit der Aslaug als Ich-Erzählerin ohnehin schon Probleme hat, sonst untergehen könnte. Als Erwachsene vermutet man bei Lesen natürlich schon so einiges, sodass auch aus Andeutungen heraus verstanden werden kann, was sich in dieser Familie tatsächlich ereignete. Ich weiß jedoch nicht, ob auch 12jährige schon eine solche Sensibilität für die Thematik haben und würde das Buch daher eher für über 14jährige empfehlen.

Der Schreibstil ist wie gesagt ohnehin eher anspruchsvoll, ebenso wie der Inhalt insbesondere durch die Verbindung von Mythologie, Natur, Religion und Wirklichkeit mit sehr vielen bildhaften Vergleichen nicht immer leicht nachzuvollziehen ist. Oft haben diese Vergleiche und Diskussionen, die sich wohl vor allem auch aus dem persönlichen Leben der Autorin erklären lassen, ein wenig den Fokus von der sehr mitreißenden Hintergrundgeschichte genommen, was mir für die Emotionalität wiederum nicht ganz so gut gefiel. Allerdings punktet hier besonders das Ende, das sicherlich auch einige Fragen offen lässt - so etwa, ob Aslaug den Teufelskreis ihrer Familiengeschichte nun durchbrechen konnte oder doch eher fortsetzen wird?

Fazit: Sehr symbolhafte Aufarbeitung einer schrecklichen Familiengeschichte mit Natur, Religion und Mythologie. Insgesamt sehr interessant, wenn ich mir auch gerade für ein Jugendbuch manchmal eine etwas direktere Auseinandersetzung gewünscht hätte. Vieles bleibt offen und der Roman noch eine ganze Weile in Erinnerung. Keine leichte, aber doch eine lesenswerte Lektüre. 4 Sterne





Allgemeine Informationen

Ausgabe: Klappenbroschur, 14.Januar 2013
Seiten: 416
Verlag: cbj
englischer Originaltitel: Madapple
ISBN: 978-3570401613
Preis: € [D] 12.99

 Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagshomepage



3 Kommentare:

  1. Das klingt für mich keineswegs nach Jugendbuch, sondern tatsächlich nach einem sehr anspruchsvollen Roman. Danke für die Empfehlung.

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  2. "Bittere Wunder" habe ich auch zuhause, das beginne ich nach meiner aktuellen Lektüre. Ich bin absolut gespannt, denn das Ganze klingt mal nach etwas völlig anderem und deine Rezension macht mir echt Lust. Wobei ich mit einem großen Anteil an Religion nicht wirklich viel anfangen kann, daher hoffe ich jetzt mal ganz stark, dass ich das nicht als großen Kritikpunkt ansehen werde...
    Vielen Dank jedenfalls für die schöne Besprechung!

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  3. Ich habe das Buch geliebt :D Kann aber auch verstehen, wenn es jemand abbricht oder nicht gut findet. Aber mein Herz hat es erorbert.
    Kann deine Meinung gut nachvollziehen ^^

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